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Zeitgeschichtliches Archiv

28 April 2024

Die bis Frühjahr 2023 in Berlin-Marzahn als Zeitgeschichtliches Archiv (ZGA) betriebenen Presseartikelsammlungen stellten eine wichtige Überlieferung von originärem und vor allem sekundärem Archivgut zur deutsch-deutschen Zeitgeschichte für den Zeitraum 1945-1992 dar. Die Geschichte der Archivbestandteile seit den 1990er Jahren zeigt, dass diese historische Form der Überlieferung in der nun größeren BRD aus ökonomischen Gründen aufgegeben werden musste oder schlichtweg aus politischen Gründen obsolet war. Es ist ein glücklicher Umstand, dass diese Überlieferung während der langen Phase ihrer „Entwertung“ durch das Berlin-Brandenburger Bildungswerk e.V. über einen Zeitraum von 30 Jahren physisch erhalten und zudem teilerschlossen werden konnte. Es erscheint unwahrscheinlich, dass ein vergleichbares, die Nachkriegsgeschichte und die Entwicklung der beiden deutschen Staaten unter spezifischer Ost- und Westperspektive betreffendes Archiv existiert. Das Zeitgeschichtliche Archiv ist in thematischer Breite, Sammlungszeitraum und Größe ein Unikat deutscher Zeitgeschichte.

Zum ZGA gehören das Presseausschnittarchiv des Deutschen Institut für Zeitgeschichte (DIZ) und des Instituts für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW). Ergänzt wird dies durch das Presseausschnittarchiv des Verlages „Neues Deutschland“ (1945 -1992) – seinerzeit das zentrale Pressearchiv der DDR - und das Biographische Archiv der Zeitung „Der Morgen“ (1945-1991). Insgesamt wurden so ca. 27,5 Mio. thematisch geordnete Presseartikel zusammengeführt. In Koperation gehörte zum Bestand des ZGA auch das historische, in Mappen gesammelte Redaktionsarchiv des Berliner Tagesspiegel.

Die Zusammenstellung, die Überlieferungs- und Bewahrungsgeschichte sowie die archivalische Form machten das ZGA, über seinen Informationsgehalt hinaus, auch zu einem kulturgeschichtlichen Archiv, das eine langfristige Sicherung gebot und eine multidisziplinäre internationale Nutzung anregen und herausfordern hätte können.

Die Presseartikelsammlungen des ZGA waren vor allem eine umfangreich genutzte Fundgrube für historische Recherchen. Die thematische Zusammenführung der Presseberichterstattung seit der frühen Nachkriegszeit bis 1992 in Zeitungsausschnitten ermöglichte einen schnellen Zugriff auf ein breites Spektrum zeitgeschichtlicher Themen. Da die Presse aus der DDR und der Bundesrepublik sowie aus West-Berlin (und in geringerem Umfang des Auslands) ausgewertet wurde, ließen sich Konfliktfelder des Kalten Kriegs anhand zeitgenössischer Positionierungen, Intensität der Medienauseinandersetzung und Sprache als umfassende politische, kulturelle und ideologische Konfrontation themenzentriert dicht nachvollziehen.

Aufgrund der thematischen Breite der Dokumentation erlaubte das ZGA inhaltliche Einstiege in Forschungsdesiderata (exemplarisch seien hier die Wirtschafts- und die Sozialgeschichte der beiden Berliner Stadthälften genannt).

Hervorhebenswert ist auch der Kontext ihres Entstehens und ihrer fortgesetzten Pflege. Denn die Sammlung repräsentierte Sichtweisen, Forschungsinteressen und Arbeitsweisen von DDR-Wissenschaftlern und –Journalisten in Zeiten des Kalten Krieges und der unmittelbaren Systemauseinandersetzung zwischen beiden deutschen Staaten. Die Sammlung entsprach dem DDR-Verständnis von Zeitgeschichte, das sich auf die unmittelbar vergangenen (und teilweise laufenden) Prozesse der politischen Auseinandersetzung auch forschungsmäßig bezog.

Damit widerspiegelte die Sammlung sowohl hinsichtlich der Inhalte wie der Auswahl, die vierzig Jahre der Existenz der DDR wie der BRD, die sich von der offenen Konfrontation bis zum geregelten Miteinander gewandelt haben.

Das entsprach auch den Aufgabenstellungen für das Deutsche Institut für Zeitgeschichte (DIZ) in den Jahren 1949 bis 1971, bzw. dem nachfolgenden Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW) in den Jahren 1971 bis 1990. Beide Institutionen waren wissenschaftliche Apparate, die unmittelbar der Politikberatung für die Partei- und Staatsführung der DDR dienten.

Für die Perspektive dieser Presseausschnittsammlung war die im Berlin-Brandenburger Bildungswerk geschaffene Datenbank von ganz besonderer Bedeutung. Sie ermöglicht die Erschließung und belegt den hohen wissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Quellenwert des Archivs auf besondere Weise. 1.929.176 Presseartikel umfasste die Datenbank. Eine vergleichbar qualifizierte (Teil-)Erschließung einer Presseausschnittsammlung ist nicht bekannt. Im ZGA konnte via Internet (www.zga-berlin.de) jeder Einzelartikel in enormer thematischer Erschließungstiefe recherchiert werden. Die weit gestaffelte Datenbankerfassung eines Artikels (Presseorgan, Autor, Artikelüberschrift, Untertitel, Erscheinungsdatum, Institution, Personen und Orte im Artikel, Land und Deskriptor) ermöglichte sehr differenziert zu recherchieren und so über die Geschichte der deutschen Besatzungszonen zu lesen, in den Alltag der beiden deutschen Staaten einzudringen, in ihre gegenseitigen Beziehungen, die jeweilige Politik, ihre sich unterschiedlich entwickelnde Kultur, die Einbindung in die Paktsysteme des Kalten Krieges, aber auch die jeweiligen Beziehungen zu anderen Staaten. So enthält die Datenbank, z.B. bezogen auf das Verhältnis der DDR, bzw. der BRD zu China, über 19Tausend Presseartikel.

Diese MySQL-Datenbank bietet die Voraussetzung für eine Überführung in modernere Systeme.

Im Zeitgeschichtlichen Archiv fanden sich zugleich umfangreich gebundene Jahrgänge bekannter Zeitungen der Nachkriegszeit u.a. das Neues Deutschland und Vorläufer Tägliche Rundschau, Tagesspiegel, Morgenpost, Die Neue Zeitung, Der Freie Bauer, Der Kampfruf; aus deutscher Kaiserzeit: die Berliner Illustrierte Zeitung, der Berliner Lokalanzeiger, die Vossische Zeitung etc. Auch Einzelexemplare von Zeitungen aus der Zeit des Deutschen Reiches, der Weimarer Republik, der faschistischen Diktatur und der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden im ZGA bewahrt.

So berichten die Einzelexemplare aus den Jahren 1915-1916 der „Berliner Morgenpost“ aus der Deutschen Kaiserzeit über den I. Weltkrieg. Zu dieser Zeit war die „Morgenpost“ die auflagenstärkste und massenwirksamste Zeitung in Berlin. Die Vossische Zeitung bildete im ZGA den gesamten Verlauf von Revolution und Konterrevolution im Gefolge des I. Weltkrieges ab.

Ein zur Zeit des Ersten Weltkrieges von einer unbekannten Privatperson angefertigtes Zeitungsartikel-Diarium vermittelt die subjektive Sicht auf den Krieg; darin eingelegt eine chinesische Originalanweisung aus der Quing-Dynastie des Jahres 1898, Vermessungen der deutschen Marine betreffend. Das Deutsche Reich hatte im Jahr zuvor die Kiautschou-Bucht besetzt und erhielt durch Zwangsmaßnahmen ab 1898 einen Pachtvertrag.

Eine umfangreiche Sammlung, im ZGA die Elsner-Chronik genannt, war die Chronik des Bernhard Elsner, geboren am 2. September 1877, gestorben 1947. Die Chronik stellte aus vielen Gründen eine herausragende Quelle dar, die einen plastischen Einblick in die Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Jahre nach 1945, aus der Perspektive eines „einfachen" Mannes gestatten. Es lag hier der seltene Fall vor, dass ein Menschenleben fast komplett abgebildet zu sehen war – eingebettet in die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge vom Kaiserreich bis zur Spaltung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Schon seit längerer Zeit gewinnt die „subjektive Seite" bei der Interpretation historischer Prozesse und Ereignisse an Bedeutung. Mit der Elsnerchronik blickte man zurück in 70 Jahre deutsche Geschichte.

Ein anders Zeitungsexemplar, die „Neue Berliner Zeitung“ meldet, den später am Widerstand der deutschen Arbeiterbewegung im Generalstreik gescheiterten Kapp-Putsch.

Vier Zeitungen vom 8. Mai 1932 widerspiegeln die Zeit kooperativer Verhältnisse in den deutsch – sowjetischen Beziehungen in der Weimarer Republik. Die 20er Jahre spielten in deren Beziehungen eine herausragende Rolle. Deutschland und die Sowjetunion waren nach dem I. Weltkrieg international mehr oder weniger ausgestoßene Staaten. Mit dem Rapollo-Vertrag begann 1922 für einige Jahre die Zusammenarbeit.

Vom 6. Januar bis zur letzten Ausgabe am 20. April 1945 - in der Reichskanzler Hitler zu seinem letzten Geburtstag, 10 Tage vor seinem Suizid, durch Propagandaminister Göbbels gehuldigt wurde – ist im Archiv die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ überliefert. Diese Zeitung war in der Weimarer Republik ein Blatt der Deutschen Schwerindustrie und sie ist eines der Beispiele für die politische Gleichschaltung der Presse in der Zeit der faschistischen Diktatur in Deutschland. Das Reichspropagandaministerium gab der deutschen Presse die Sprachregelungen vor, Abweichungen führten zu Publikationsverbot und Verhaftung.

Die „Kölnische Volkszeitung und Handelsblatt“, hier Ausgaben von 1932-1938, entstand 1860 als Hauptpresseorgan des deutschen Katholizismus und politisch der Zentrumspartei. Nach der Machtübertragung an Hitler verbrannten die Mitarbeiter der Zeitung einen großen Teil ihres Redaktionsarchivs aus der Zeit der Weimarer Republik (1918-1933). Die Zeitung hatte sich in dieser Zeit bis 1933 konsequent für die parlamentarische Demokratie und die Respektierung der Weimarer Verfassung eingesetzt und sich empört mit den republikfeindlichen Entwicklungen der faschistischen Ideologie auseinander gesetzt. Mit dem Machtantritt Hitlers 1933 begann die Schi­ka­nie­rung durch das Propagandaministerium, tageweise Verbote der Zeitung, Repressionen und Berufsverbot des Verlegers, bis die Zeitung schließlich 1941 unter dem Vorwand kriegswirtschaftlicher Gründe geschlossen wurde.

Die „Vossische Zeitung“ geht bis in das frühe 17. Jahrhundert zurück und war die älteste Zeitung der Stadt Berlin. In den Jahren der Weimarer Republik schrieb fast jeder bekannte deutsche Autor in diesem überregionalen Blatt. Im ZGA waren es Zeitungsexemplare aus den Jahren 1926 – 1933. Ein halbes Jahr nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler war das sogenannte Schriftleiter-Gesetz des faschistischen Propagandaministeriums mit dem Ziel beschlossen worden, die Presse auf Hitlers Regierungslinie zubringen. Für jüdische Schriftsteller und Journalisten bedeutete das Berufsverbot, Weiterbeschäftigung führte für den Verleger zu Geld- oder Haftstrafe. Die „Vossische Zeitung“, als Vertreterin des kritischen liberalen Bürgertums verlor ihre besten Autoren. In der Weimarer Republik hatte die Zeitung eine Blütezeit; 1934 beugte sie sich dem Propagandaministerium und stellte ihr Erscheinen ein.
Das Konvolut von Einzelzeitungen im ZGA zeigte darüber hinaus verschiedenste, durch das Reichspropagandaministerium gleichgeschaltete Exemplare regionale deutsche Zeitungen, darunter der „Panzerbär“, das letzte Nachrichtenblatt, verteilt in den letzten Stunden des II. Weltkrieges in Berlin - aber mit dem „Roten Wähler“ auch ein Blatt vor dem faschistischen Machtantritt.

Die ersten Ausgaben der „Abendpost“ im ZGA, die Jahre 1946/7, einer in der Sowjetischen Besatzungszone erschienenen unabhängigen Zeitung, zeigte die Nachkriegszeit in Deutschland. Sie behandelte Themen aus Politik, Kultur und Wirtschaft in der Periode der antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung Ostdeutschlands nach dem zweiten Weltkrieg.

Alle Zeitungen lagen im ZGA im Original vor und waren bestens geeignet für Forschung und Lehre.

In den ZGA-Sammlungen u.a. auch enthalten waren Jahrgänge der Zeitung Die Autonomie, Anarchistisch-communistisches Organ, das nach dem Sozialistengesetz in Deutschland 1887 verboten wurde und im Londoner Exil erschien, die Demokratische Post, von 1943-1946, herausgegeben von Paul Merker/ Bewegung Freies Deutschland, eine Wochenzeitung deutscher Emigranten in Mexiko, wie auch alle Zeitungen des Nationalkomitees Freies Deutschland und als DDR-Publikationen die komplette Weltbühne, auch ihre gleichnamige Vorgängerin von 1905 bis 1933, die Literaturzeitschrift des Deutschen Schriftstellerverbandes Neue Deutsche Literatur, Pädagogische Fachzeitschriften, Deutsche Filmkunst und Filmspiegel, BZG- Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, ZfG - die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Die bildende Kunst, der Eulenspiegel und sein Vorgänger, der Frische Wind, die Kinder- und Jugendzeitungen Trommel, Frösi, die ABC-Zeitung, das Neue Leben, der Modelleisenbahner, die NBI, das Magazin, die Frauenzeitschrift Sybille, die Wochenpost, aber auch das westdeutsche Jugendmagazin konkret, der Spiegel oder Freies Volk, die illegale Zeitung der KPD nach dem politischen Verbotsurteil.